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Lernen 2.0 in Zeiten von prism und NSA
Von David Klett
Damian Duchamps hat Recht. Wer zusammengekniffenen Auges und mit rhythmischem Getippe auf die Leertaste seine Absätze in WORD einrückt, der wird junge Menschen wahrscheinlich nicht auf einen informierten, besonnenen, kreativen Umgang mit digitalen Medien vorbereiten können. Und dann gibt es die ‚digital natives‘ – ich weiß nicht, warum ich hier immer ’naives‘ lese -, die in der Komfortwelt von iOS und Android aufgewachsen sind. An welcher Stelle brauchen sie noch ein tieferes Verständnis dafür, was in und zwischen ihren Geräten passiert? Sie bilden tatsächlich die Mehrheit, die sich an der „Oberfläche der Medienkompetenz“ bewegt.
Doch zwischen den Zeilen deutet sich in Damian Duchamps Blogeintrag die Möglichkeit eines ganz anderen Unterrichts an. Es ist einer, in dem Lehrer den richtigen Umgang mit digitalen Medien vermitteln und Schüler mit einem tiefen, vorausschauenden Verständnis für ihr Handeln in der digitalen Welt die Schule verlassen werden. Ich will nicht in Zweifel ziehen, dass es diesen Unterricht geben kann. Ich meine, es sollte ihn unbedingt geben. Ich sehe nur eine Schwierigkeit, für die ich aktuell keine Lösung sehe und die einem Unterricht im Wege stehen könnte, wie ihn Damian Duchamps und ich uns wünschen:
Kann denn ein Lehrer mit tiefer Sicherheit seinen Schülern sagen, ob und wie sie Facebook, Twitter, WhatsApp, Google+, Google-Docs, Flickr, Instagram, Pinterest, wordpress usw. heute und in Zukunft nutzen sollen?
Ich denke jetzt nicht an das Naheliegende, etwa persönliche, kompromittierende Dinge lieber für sich zu behalten, Privacy-Einstellungen sehr überlegt vorzunehmen und natürlich das komplette Verständnis, wie sich die genannten Anwendungen fruchtbar nutzen lassen. Nachdenklich macht mich, dass doch am Ende keiner wissen kann, was er tut, wenn er diese Dienste verwendet – und zwar weder ein Lehrer noch seine Schüler, denen er einen der Dienste empfohlen hat. Ich kenne niemanden, der die AGB von Facebook, Google+ oder iOS durchgelesen und verstanden hat, geschweige denn die Änderungen daran, die man alldieweil bestätigen muss. Ich habe es versucht. Es ist unmöglich. Wo und wie werden Daten konsolidiert und verwertet, die mein iPhone oder mein Android-Handy fröhlich in die Ferne senden? Auch wenn keine Trojaner drauf sind, wie auf dem Gerät von Ranga Yogeshwar? Ich habe keinen blassen Schimmer, was Google mit meinen Instragram oder Flickr-Bildern übernächstes Jahr anstellen wird, die ich bislang hochgeladen habe. Ich kann nur hoffen, dass die es mit Augenmaß tun, mich vielleicht vorher fragen, es einfach nicht übertreiben.
Das klingt jetzt alles dramatischer, als zumindest meine Erfahrungen mit sozialen Medien bislang waren. Genaugenommen fällt mir kein gravierendes Problem ein, das mir der tägliche Gebrauch eingebracht haben könnte.
Etwa Facebook oder Google+ zu nutzen ist doch ein wenig wie Fahrradfahren ohne Helm: Man weiß, dass es nicht ganz vernünftig ist, aber wenn man vorsichtig und vorausschauend fährt, dann kommt man auch ohne Helm ziemlich weit.
Geschieht das Unerwartete, dann muss man die Folgen meist ohnehin selbst ausbaden. Damit mag man als Fahrradfahrer leben wollen, als Lehrer oder Schüler nicht unbedingt. Und genau hier sehe ich die Schwierigkeit für viele Lehrer, ihren Schülern das einwandfrei richtige in Sachen Medienkompetenz zu vermitteln, ohne sich komplett lächerlich zu machen. Einerseits wird jeder Lehrer seinen Schülern nur raten wollen, wovon er selbst ohne jeden Zweifel überzeugt ist und was er zugleich vollständig durchschaut. Mit den gängigen sozialen Medien müsste er sich dann eigentlich schwer tun. Andererseits wird er seinen Schülern nicht als Alternative vorschlagen wollen, was in ihrer Welt weder verständlich noch praktikabel ist. Lea Feynberg hat dieses Dilemma für sich gelöst, wie man kürzlich in der ZEIT sehr schön lesen konnte:
„Wenn Isabel am nächsten Tag mit gemachten Hausaufgaben ankommt, Timm pünktlich in der Schule erscheint und Can diesen Tag am Praktikumsplatz verbringt, dann hat sich Facebook gelohnt.“
Eine „systematisch vermittelte Grundkompetenz in Sachen digitaler Medien“, wie Damian Duchamps schreibt, würde viele Lehrer und damit noch viel mehr Schüler weiterbringen. Doch bestimmte Unsicherheiten werden auch die beste Ausbildung und die schlaueste Fortbildung nicht ausräumen, besonders wenn es um den Einsatz sozialer Medien im Unterricht oder für die unterrichtsübergreifenden Kommunikation geht. Mancher Lehrer wird dafür auch in Zukunft Risiken eingehen müssen – auf seine Kosten und vielleicht auch auf die seiner Schüler. Andere werden daher einen Bogen um digitale Medien machen – und ich weiß nicht, ob wir es ihnen verdenken sollten.
Vielen Dank für diesen durchdachten und differenziert geschriebenen Beitrag! In der Tat haben Lehrkräfte, die einen weiten Bogen um Neue Medien machen, gute Gründe und die sind in den letzten Wochen sicherlich nicht weniger geworden.
Umso wichtiger ist es, sich in der Schule auf eine gemeinsame Richtlinie zu einigen und diese kann m. E. nur darin bestehen, dass man es sich als Lehrkraft zum Ziel machen muss, Schülerinnen und Schüler zur Mündigkeit zu erziehen.
Das ist ja seit Adorno nichts Neues, aber was heißt das im digitalen Zeitalter konkret? Die Antwort: Schülerinnen und Schüler müssen in der Lage sein, sich bewusst für oder gegen eine Technologie entscheiden zu können. Das setzt allerdings ein technisches Grundverständnis voraus, das in der Schule unbedingt gelehrt werden muss: program or be programmed.
Nur dann – nämlich wenn sie alle Fakten, Risiken und Alternativen kennen – können Schülerinnen und Schüler selbstbestimmt entscheiden, ob und für was sie ihre Smartphones nutzen, ob sie auf ihrem Rechner freie Software installieren oder mit Programmen wie Little Snitch mal schauen, was für Daten ihr Mac so ungefragt ins Netz hinauspustet.
Und ja – eine Grauzone bleibt. Aber mal unter uns: das Zitat „[J]eder Lehrer [wird] seinen Schülern nur raten wollen, wovon er selbst ohne jeden Zweifel überzeugt ist und was er zugleich vollständig durchschaut.“ ist ironisch gemeint, oder? Wir leben doch in einer Welt, in der nicht nur das Internet unüberschaubar ist; das gleich gilt doch für fast alle Bereiche des Lebens. Ich bin als kath. Religionslehrer noch nicht einmal von der Kirche „ohne jeden Zweifel überzeugt“ und doch kann ich versuchen, Schülerinnen und Schüler mit meinem Unterricht dazu zu bringen, sich selbst ein Urteil bilden zu können. Mehr kann man als Lehrer nicht erreichen.
„Einerseits wird jeder Lehrer seinen Schülern nur raten wollen, wovon er selbst ohne jeden Zweifel überzeugt ist und was er zugleich vollständig durchschaut.“, sagem Sie so, Herr Klett.
Das halte ich mit meinen 59 Jahren für einen frommen naiven Wunsch: die Welt, wie sie uns von Systemen und von den darin agierenden Personen, die Gestaltungsmacht haben, geformt wird, „vollständig zu durchschauen“. Wenn es danach ginge, dann dürfte ich weder mein Geld auf irgendeine Bank legen, noch etwas essen, was ich nicht selbst gepflanzt, geerntet und zubereitet habe. Und auf gar keinen Fall dürfte ich irgendeine Partei wählen mit der Zuversicht, dass die schon gutwillig das Richtige wollen und dann auch können! Am besten tut man wohl gar nichts dann. Denn wie der Philosoph so richtig sagte: „Es gibt kein richtiges Leben im Falschen.“
Das Fahren ohne Helm mal als Metapher gesehen, ist: Das Risiko des Lebens in der menschlichen Gesellschaft / Kultur auf sich zu nehmen. Die muss man zunächst so hinnehmen, wie sie ist. Und dann mehr und mehr durchschauen lernen, um Einfluss auf ihren Zustand zu nehmen. VOLLSTÄNDIGKEIT ist da nicht die richtige Kategorie, sondern SINN. Und dieses sinnvolle Fahren ohne Helm mit möglichst viel Wirksamkeit und wenig Schaden zu lernen – das zu ermöglichen ist der Auftrag des Lehrers.
Ach sorry, Medienistik, jetzt seh ich, ich habe das gleiche gesagt wie du – nur anders. Aber doppelt gemoppelt hält besser ;-))