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Ein Gastbeitrag von Alexander König, Daniel Bernsen und Christoph Pallaske

mit frdl Genehmigung von Brennpunkt Geschichte

Digitale Geschichtsdidaktik, so zeigen erste Arbeitsdefinitionen, beschäftigt sich mit Aneignungs-, Vermittlungs- und Transformationsfragen von Geschichte bzw. mit allen Veränderungen des Geschichtsunterrichts sowie der Geschichts- und Erinnerungskultur durch Digitalisierung. Vielleicht ist es in der Tat der richtige Weg, zunächst eine Reflexion über die Bestandteile des Begriffs zu wagen. Daniel Bernsen formuliert drei einfache Fragen, die er sogleich provokant beantwortet:

Was ist digital? – Alles.
Was ist Digitalisierung bis jetzt in der Geschichtsdidaktik gewesen? – Nichts.
Was verlangt sie? – Etwas darin zu werden.” (hier)

Doch was meint eigentlich in diesem Zusammenhang “digital”? Was bedeuten “Digitalisierung”, “Digitalität” und “digitale Medien” genau? Was ist “digitale Geschichtsdidaktik”? Können wir dieses Feld so adäquat fassen, dass die Begriffe operationalisierbar und “gebrauchbar” werden? Sicher, digitale Medien nutzen Digitaltechnik, die auf binärer Codierung aufsetzt. Aber dies erscheint mir eine wohl notwendige, aber keine hinreichende Eigenschaftsbeschreibung zu sein.

Der oben genannte erste Vorstoß von Daniel fiel in meinem Fall zusammen mit der Lektüre eines kleinen [aber feinen] medientheoretischen Aufsatz von Lambert Wiesing, seines Zeichens Direktor am Institut für Philosophie in Jena, aus dem Jahr 2008 mit dem Titel “Was sind Medien?”1. Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die Feststellung, dass gerade die Medienwissenschaft den Begriff Medien “inflationär” benutze. Deshalb stehe die Eignung des Medienbegriffs für wissenschaftliche Zwecke insgesamt in Frage. Wiesing differenziert im Diskurs drei Spielarten:

Ein technizistisch geprägte Argumentation sieht in Medien insbesondere Mittel und Werkzeuge, die als “Körperextensionen” gedacht werden (vgl. Marshall McLuhan).
Aus systemtheoretischer Perspektive sind Medien lediglich eine noch unbestimmte “Möglichkeit für wirkliche Formen” (vgl. Niklas Luhmann).
Eine phänomenologisch ausgerichtete Medientheorie sieht “Medien ausschließlich über ihre Präsenz beim Medienbenutzer” (vgl. Boris Groys).

Die letzte Variante ist auch vor dem Hintergrund der Frage “Was ist digitale Geschichtsdidaktik?” interessant. Medien treten, sobald sich ein Nutzer zu einem Objekt in eine Beziehung, ein Verhältnis, setzt, in der Benutzung zurück. Sie werden transparent und sind in bzw. bei der Anwendung der Reflexion nicht mehr unmittelbar zugänglich (vgl. z.B. auch Sprache).

Alle Mittel, welche während ihrer Verwendung unthematisch bleiben, werden [in phänomenologischer Sicht, A.K.] als Medien angesprochen: Zeichen sind demnach genauso Medien wie jedes Werkzeug.2

Ohne nun auf die weitere Herleitung des Medienbegriffs von Wiesing eingehen zu wollen, sehe ich in dieser Annäherung gewisse Parallelen zu den Überlegungen des Wiener Historikers Wolfgang Schmale. Er beschreibt “Digitalisierung” in seinem Essay “Digitale Geschichtswissenschaft” als “Vergegenwärtigung” und “Verlebendigung”:

Die Digitalisierung vergegenwärtigt nicht nur, sondern verlebendigt auch, weil die digitalisierten audio- und visuellen [sic] und anderen Objekte nahezu beliebig auf derselben Zeitebene, der Gegenwart, verwendet werden können. Die digitalen Medien treten in unsere Welt an einem neutralen, standardisierten, gewissermaßen globalen Ort, dem Bildschirm, ein: TV-Bildschirm, Computer-Bildschirm, Handy-Display (auch das ein Bildschirm), Flüssigkristall-Großbildschirm u.a. Trotz aller Normierung verweist der Bildschirm als Ort stärker als früher der Tonfilm und später das Fernsehen auf individuelle Rezeptions- und Reaktionssituationen, die nur noch bedingt einer sozialen Kontrolle unterliegen. […] Wir sehen uns somit einerseits einem Prozess der Entgrenzung und andererseits einem Prozess der Fokussierung auf das Individuum gegenüber.3

Vor diesem Hintergrund seien vorerst fünf Thesen einer digitalen Geschichtsdidaktik gefasst:

Digitale Geschichtsdidaktik versteht sich als Richtung innerhalb der gegenwärtigen Geschichtsdidaktik, die sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf alle Bereiche der Geschichts- und Erinnerungskultur beschäftigt.
Angesichts der zunehmenden Bedeutung der Informations- und Kommunikationstechnologien in den letzten 30 Jahren und des digitalen Wandels innerhalb der Gesellschaft reflektiert, beschreibt und analysiert digitale Geschichtsdidaktik die Medialität von Geschichte theoretisch, empirisch und pragmatisch.

Digitale Geschichtsdidaktik begreift den Einsatz digitaler Medien in Geschichtsvermittlung und –aneingung funktional bzw. instrumentell (digitale Medien als Werkzeuge), potentiell (digitale Medien als Möglichkeiten) und phänomenologisch (digitale Medien als Transparenzen).
Digitale Geschichtsdidaktik stellt sich den Herausforderungen der Digitalisierung und rückt den Mediennutzer ins Zentrum ihrer Überlegung. Sie ist – wie die konstruktivistische Geschichtsdidaktik – eine subjektorientierte Geschichtsdidaktik, welche “die Lebenswirklichkeit”4 von Geschichtslernern zum Ausgangspunkt nimmt.
Digitale Geschichtsdidaktik ist ebenso eine “interaktive Didaktik, die um die Beobachterabhängigkeit des eigenen Standpunkts weiß.”5 Deshalb bemüht sie sich um Transparenz und um Kommunikation zwischen allen am historischen Lernen beteiligten Akteuren.
Deshalb ergeht auch von dieser Stelle der Aufruf, sich rege am Diskussionsaufruf von Daniel (hier) zu beteiligen.
Abbildungsfundstelle Wikimedia (Stand 16.07.2012)

Wiesing, Lambert (2008): Was sind Medien? In: Stefan Münker und Alexander Roesler (Hg.): Was ist ein Medium? Frankfurt a. M.: Suhrkamp Verlag (Suhrkamp Taschenbücher Wissenschaft, 1887), S. 235–248 [↩]
Ebd., S. 237 [↩]
Schmale, Wolfgang (2010): Digitale Geschichtswissenschaft. Wien, Köln, Weimar: Böhlau, S. 15-16 [↩]
Völkel, Bärbel (2010): Wie kann man Geschichte lehren? Die Bedeutung des Konstruktivismus für die Geschichtsdidaktik. 2. unveränderte Auflage. Schwalbach Ts.: Wochenschau Verlag (Forum Historisches Lernen), S. 226 [↩]
Ebd. [↩]